Skizzen geometrisch stabil aufbauen
Wie Skizzen geometrisch stabil aufgebaut werden und auch bei größeren Maßänderungen intakt bleiben
Links zum Thema: Das Video über stabile Skizzen und die Kurzpräsentation als PDF.
Stabile Skizzen - die Basis für änderungsfreundliche Modellgeometrie
Es liegt auf der Hand dass Modelle die nach ihrer Erstellung noch verändert oder als Kopie in weitere Varianten überführt werden sollen mit überschaubarem Aufwand anpassbar sein müssen. Das entscheidende Element dafür sind meist die Skizzen. Bei mit Skizzenskeletten gesteuerten Baugruppen mit ihren vielen miteinander verwobenen Skizzen trifft das in besonderer Weise zu. Die Fehlersuche in einer skelettgesteuerten Baugruppe ist eine anspruchsvolle und zeitintensive Arbeit. Deshalb sollte hier besonderer Wert auf die Vermeidung von modellschädigenden Fehlern gelegt werden.
Wenn Skizzen geometrisch instabil sind führen Maßänderungen dazu, dass sie nicht mehr lösbar sind. Bei lokalen Änderungen bekommt man meist direkt einen Fehler angezeigt und kann abbrechen oder rückgängig machen. Wenn eine Skizze andere Geometrie, Parameter oder insbesondere externe Referenzen einbezieht, merkt das Programm oft erst beim Aktualisieren des abhängigen Modells, dass sie durch die Veränderung der Referenzen nicht mehr lösbar ist. Solche Skizzen werden nur mit erheblichem Aufwand wieder bearbeitbar. Wenn man Pech hat werden sie gar nicht mehr angezeigt, so dass man nicht erkennen kann was warum kaputtgegangen ist und auf Maße nicht mehr direkt zugreifen kann. Außerdem kann es passieren dass man Maße passend zueinander ändern müsste, aber jedes einzeln für sich nicht ändern kann weil das ohne gleichzeitige Änderung des anderen zu einem Fehler führt.
Bereits bei der Modellerstellung sollte also darauf geachtet werden, dass Skizzengeometrie bei vorhersehbaren Maßänderungen funktionsfähig bleibt. Auch bei den Volumenelementen können einige Probleme im Vorfeld vermieden werden. Bei denen ist eine Reparatur aber meist einfacher, so dass Fehler leichter zu verschmerzen sind. Man sollte generell nur so wenig wie möglich auf die Volumenkörper referenzieren, deshalb hängt da dann auch nicht mehr viel von ab. In diesem Kapitel zeige ich als Denkanstoß einige Beispiele, wie man potenziell unlösbare Geometrie vermeiden kann.
Skizzierte Schrägen als Flächenabschnitt
Wenn eine Schräge für die Geometrie einer Konstruktion essenziell ist, wird sie sinnvollerweise meist in die Skizze einer Extrusion eingearbeitet anstatt mit dem Schrägen-Werkzeug erstellt. Wird die Schräge jedoch als Bestandteil einer geschlossenen Kontur gezeichnet, wie man es von 2D-Zeichnungen gewohnt ist, können bei Maßänderungen leicht schwerwiegende Fehler eintreten. Viel hängt von der Bemaßungssystematik ab und Inventor ist im Vergleich zu Creo erstaunlich fehlertolerant.
In Bild 1.1 ist zu sehen, was mit einer abgeschrägten Kontur passieren kann wenn sich die Proportionen der Kontur ändern. Wird die Ebene, auf der die untere Linie liegt, verschoben, kann sich der Linienzug "verknoten". Inventor nimmt dann nach eigenem Ermessen eine funktionierende geschlossene Kontur als Grundfläche für das Volumen, Creo lehnt die Verarbeitung einfach ab. Eventuell auf die gezeigte Skizze referenzierende weitere Skizzen werden sich möglicherweise unvorhergesehen verhalten, weil die untere Linie ihre Richtung umgekehrt hat. In diesem einfachen Beispiel ist natürlich leicht nachvollziehbar, dass die Schräge auch weiter unten angesetzt werden müsste um das Teil zu reparieren, aber in einem komplexeren Zusammenhang können die Folgen unüberschaubar werden.
Geschickter ist es wenn in den grundlegenden Skizzen die Grundkontur ohne den Schrägenabschnitt geschlossen gezeichnet wird und die Schrägenlinie weitgehend unabhängig bleibt wie in Bild 1.2. Sie kann auf die Außenmaße der Kontur fixiert werden um die Länge zu definieren. So wird ein "Umschlagen" der Kontur verhindert.
Inventor könnte auch auf Basis dieser Skizze direkt einen abgeschrägten Volumenkörper erzeugen, weil es die geschlossene Fläche erkennt obwohl der Linienzug nicht durch Punkte geschlossen ist. Allerdings würde das Volumen des gesamten Körpers dann fehlschlagen, wenn die Schrägenlinie aus dem Rechteck herausgezogen wird. Wenn die Bemaßung zulässt, dass die Schräge ganz verschwindet (und eventuell konstruktiv sogar gewollt ist, dass sie optional ist) sollte ein separater Abzugskörper für die Schräge erzeugt werden. In Creo ist das zwingend.
Unabhängige Abzüge auf Basis einzelner Linien lassen sich am besten erzeugen, indem die Linie in eine neue lokale Skizze projiziert und zu einem Quadrat ergänzt wird. So benötigt man keine zusätzlichen Maße und hat eine sehr stabile Geometrie. Wenn ein Quadrat nicht passt, können natürlich auch andere Formen eingesetzt werden. Das Quadrat wird extrudiert zwischen den Flächen des Grundkörpers.
Soll die Schräge optional sein ist in Inventor noch ein weiterer Arbeitsschritt erforderlich (Bild 1.3). Inventor leht es ab Abzugskörper zu berechnen die ausschließlich durch leeren Raum gehen, also keine Volumenänderung bewirken. Um das Modell für ein zulässiges "Auswandern" der Schräge vorzubereiten, brauchen wir deshalb noch zwei Parameter und/oder Referenzmaße, um eine bedingte Unterdrückung zu steuern. Im Beispiel wird die Extrusion unterdrückt, sobald der Abstand des Schrägenanfangs von der oberen Konturlinie größer oder gleich der Höhe der Kontur wird, denn ab diesem Wert findet kein Materialabzug mehr statt. Bei Creo wäre dieser Schritt nicht nötig, hier ist Creo toleranter und verfährt nach dem Motto "Nichts minus Nichts ist immer noch Nichts, macht nichts".
Das Ergebnis ist ein sehr stabiles Modell, das auch bei erheblichen Maßänderungen wie in Bild 1.4 nicht fehlschlägt. Das geometrische Ergebnis wenn der Körper stark verlängert wird ist sicher nicht erwünscht, aber der Fehler ist sehr leicht zu erkennen und zu lösen, ohne dass viel kaputt geht. Durch Vergrößerung des Abzugskörpers wäre hier auch noch dauerhafte Abhilfe möglich.
Kreise anschneiden
Oft müssen runde oder zylindrische Körper abgeflacht werden, beispielsweise weil eine Bauraumgrenze näher am Mittelpunkt liegt als der Radius. Den Kreis zu unterbrechen und die Enden mit einer Linie ("Sekante") zu verbinden ist eine äußerst instabile Lösung. Wird die zugrundeliegende Geometrie so verändert dass die Baugraumgrenze sich vom Mittelpunkt weiter als den Radius entfernt, ist die Kontur unlösbar. Im Nachfolgenden Beispiel Bild 2.1 ist die Mitte des Kreises auf eine parametergesteuerte senkrechte Ebene (zur Simulation einer externen Referenz) festgelegt und die Bauraumgrenze von außerhalb des Kreises definiert (Maß 5). Verschiebt man die Kreismitte vom Abschnitt weg wie im Bild oder reduziert man den Kreisradius ist die Skizze kaputt. Bei dieser einfachen Skizze ist die Ursache leicht gefunden und behoben, aber bei umfangreicheren Skizzen ist es mühsam die problematischen Bedingungen und Maße zu identifizieren und zu löschen, um die Skizze wieder lösbar zu machen. Legt man die Maße so fest dass die Schnittlinie als Tangente genau auf dem Kreis liegt wird die Skizze sogar dauerhaft zerstört und ist auch durch Korrigieren der Maße nicht mehr zum Leben zu erwecken (oh ein Bug!).
Damit diese fatalen Fehler nicht auftreten können, muss die Kreiskontur immer geschlossen bleiben. Kreisbögen sind generell sehr instabil und sollten deshalb nur sparsam eingesetzt werden. Um den Kreis anzuschneiden wird in der steuernden Skizze eine unabhängige Linie erzeugt, deren Länge (mindestens) gleich dem Kreisdurchmesser ist. Diese Linie wird wie im Beispiel der Schräge zu einem Quadrat ergänzt, extrudiert und in Inventor bei Bedarf mit einer bedingten Unterdrückung versehen. (Bild 2.2)
Das Ergebnis ist auch hier eine bei allen vorhersehbaren Maßänderungen stabile Geometrie. Die Abflachung des Volumenkörpers ist optional, das Modell kann über die Skizzenmaße und externen Referenzen sicher gesteuert werden.
Rundungen auf Basis von Skizzen
Wenn Rundungen essenziell für die Geometrie eines Teils sind (meist sind das besonders große Rundungen) kann es sinnvoll sein die zu zeichnen und zu extrudieren, anstatt sie mit dem Rundungswerkzeug zu machen.
Auch hier kann aber das bekannte Problem der "verknoteten" Skizze entstehen. Manchmal kommt es auch vor, dass der Kreisbogen umklappt und plötzlich spiegelbildlich außerhalb der Kontur liegt. Inventor findet zwar eine Fläche, aber man weiß vorher nicht genau welche; Creo würde die Verarbeitung ablehnen. Außerdem kann eine der an die Rundung angrenzenden Linien die Länge Null bekommen, was geometrisch nicht möglich ist. Interessanterweise gibt Inventor in Version 2021 dafür keinen Fehler mehr aus; Zweifel an der Stabilität von Linien mit Länge Null sind dennoch angebracht. Bei umfangreicheren oder abhängigen Skizzen können unerwartete Ergebnisse aufgrund der umgedrehten oder verschwundenen Linie auftreten.
Auch hier fängt die stabile Lösung wieder mit einem Vollkreis in der definierenden Skizze an. Als Abzugskörper für Außenrundungen kann zum Beispiel ein mit dem Kreis verbundenes Quadrat dienen wie in Bild 3.2, für Innenrundungen eine verschmolzene Extrusion wie in Bild 3.3.
Beide Varianten funktionieren stabil auch wenn die Teilkontur eine vollständige beidseitig tangentiale Rundung nicht mehr zulässt. Die steuernden Maße bleiben zugänglich auch bei unrealistischen Eingaben.
Wenn aufgrund der vorhersehbaren Größenverhältnisse sichergestellt ist dass eine im Skelett definierte Rundung immer vollständig ausführbar bleibt kann auch das Rundungswerkzeug verwendet werden und als Radius ein (Referenz)Maß aus einer Skizze verwendet werden wie in Bild 3.4. Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Rundungswerkzeug den Mittelpunkt verschiebt wenn ein Ende der Rundung den Rand des Teils erreicht hat, was verhältnismäßig großen Rundungen zu erheblichen geometrischen Verfälschungen führen kann.
Linien der Länge 0
Wenn Linien in Skizzen keine explizite Längenangabe haben sondern indirekt durch Referenzen und Abhängigkeiten bestimmt werden muss sichergestellt sein, dass sie bei erwartbaren Maßänderungen nicht die Länge 0 bekommen. Im Beispiel Bild 4.1 wurden Hilfslinien verwendet um die Höhe des Kreismittelpunkts und den Durchmesser mit der vorher gezeichneten Seitenansicht (die z. B. eine Nut oder eine versetzte Ansicht eines Bolzens sein könnte) sichtbar zu synchronisieren. Werden die Ebenen so verschoben dass die Seitenansicht genau mittig im Kreis liegt, wird die Linienlänge Null. Auch wenn Inventor das mittlerweile zulässt: Linien der Länge 0 können nicht gesund sein.
Zu bevorzugen ist hier entweder soweit anwendbar die Verwendung von Ausrichtbedingungen (horizontal / vertikal) wie in Bild 4.2 oben oder die Erstellung einer auf das Ziel ausgerichteten Linie mit stabiler Länge (+ ggf. darauf liegenden Punkt) mit Koinzidentbedingungen (Bild 4.2 Mitte)
Schlusswort
Es gibt sicher noch viel mehr Möglichkeiten instabile Geometrie zu erzeugen und mindestens genausoviele Möglichkeiten sie zu vermeiden. Diese relativ aufwändigen Methoden lohnen sich natürlich nur dort, wo es wirklich auf die potenziell instabilen Elemente ankommt und die deshalb schon im steuernden Skelett vorgesehen werden müssen.
Generell lohnt es sich aber immer schon beim Aufbau eines Modells darüber nachzudenken, wie sich das Modell bei geänderten Eingangsparametern verhalten wird und ob die erstellte Geometrie das mit macht.
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Sie können auch gerne die Kurzpräsentation zum Thema herunterladen. Sie darf in unveränderter Form unter Nennung der Quelle frei verwendet werden, auch kommerziell (Lizenz: CC BY-ND).
Die Modelle im Zustand zum Ende dieses Tutorials können Sie ebenfalls herunterladen.
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Das Video: https://youtu.be/zFkWhP8hQ8o